Gedanken im Advent (aus 2016) – Gastbeitrag von Manfred Barnabas Loevenich SJB
„Als die Zeit reif war, sandte Gott Seinen Sohn. Als Mensch geboren und dem Gesetz untergeordnet, erlöste Er uns vom Zwang des Gesetzes, damit wir Gottes Kinder werden“, schreibt der heilige Apostel Paulus an die Galater. So zitiert ihn auch das zeitgenössische Paulus-Oratorium „Lass dir an meiner Gnade genügen“ (1973) von Siegfried Fietz und Johannes Jourdan. Weiter heißt es dort in einem Lied:
Gott kommt zu uns,
Er kommt herab von Seinem ew’gen Thron.
Gott kommt zu uns,
und wird uns gleich in Jesus, Seinem Sohn.
(…) Gott kommt zu uns,
wir müssen nicht mehr zweifelnd nach Ihm fragen.
Gott kommt zu uns,
um Seine Gnade allen anzusagen.
(…) Gott kommt zu uns,
die Krippe und das Kreuz sind Seine Zeichen.
Gott kommt zu uns,
und unsre Trauer soll der Freude weichen.
In diesen Tagen so kurz nach dem verheerenden Terroranschlag an der Berliner Gedächtniskirche hört man im vielfältigen, teils erschreckenden Stimmengewirr auch Äußerungen, wie diese: Der Terroranschlag sei brutal eingebrochen in die „besinnliche, vorweihnachtlich-friedliche“ Stimmung, ja er habe diese nachhaltig zerstört: „Wie kann man jetzt noch Weihnachten feiern?“
Nun, es stimmt. Der Anschlag hat unsere Gesellschaft tatsächlich empfindlich getroffen, verwundet, verunsichert. Und das lag wohl auch in der Absicht des oder der Attentäter. Aber was hat es auf sich mit dieser „friedlichen Weihnachtsatmosphäre“, die nun, wie es heißt, so empfindlich gestört oder zerstört wurde?
„Als die Zeit reif war, sandte Gott Seinen Sohn.“ Wir erwarten Sein Kommen – nur, dass dieses Kommen wenig gemein hat mit einer oberflächlichen und vermeintlichen Idylle, die sich lediglich äußerlich orientiert am weihnachtlichen Geschehen, wie die Bibel es uns berichtet und wie die Kirche es feiert.
Im Advent 1944 schrieb P. Alfred Delp SJ (1907-1945) in der Haft, nur wenige Wochen vor seiner Hinrichtung am 2. Februar 1945:
Gott ist mit uns: so war es verheißen, so haben wir geweint und gefleht. Und so ist es (…) Wirklichkeit geworden: ganz anders, viel erfüllter und zugleich viel einfacher als wir meinten. Gott wird Mensch. (…) Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.
Ist darin nicht bereits die Antwort gegeben, wo und wie der Ausweg zu finden ist aus der lähmenden Wut, Angst und Ohnmacht, unter der auch viele Christen angesichts der unbegreiflichen Gewalttat in Berlin leiden?
Wenn der Mensch Gott erkennt, ohne sein Elend zu erkennen,
verfällt er dem Stolz.
Erkennt er sein Elend, ohne Gott zu erkennen,
verfällt er der Verzweiflung.
Durch die Erkenntnis Jesu Christi stehen wir in der Mitte,
denn darin finden wir sowohl Gott wie auch unser Elend.
Blaise Pascal (1623-1662)
Erwarten wir Jesus, den Christus, trotz – und mitten in – aller Not, Angst, Gewalt und Verzweiflung, dann vermögen wir wirklich adventliche Menschen zu sein, die mit Gott rechnen und von Ihm her leben. Dann feiern wir das Fest der Menschwerdung Gottes tiefer, wahrhaftiger, froher und glaubwürdiger, als die ganze Medien- und Konsum-Maschinerie es uns nahelegt und aufdrängen will. Wer etwas genauer hinsieht und hinhört, entdeckt bald Spuren dieses anderen Advents: nicht des lauten Advents mit Kling-Glöckchen und greller Werbung, sondern der verhaltenen, leisen aber starken, tiefen und erwartungsfrohen Vorfreude – die den unauflösbaren Zusammenhang von Krippe und Kreuz nicht verleugnet, sondern darin den eigentlichen und tiefsten Grund zur Freude erkennt.
Viele Adventslieder wissen um diesen Zusammenhang und besingen ihn in deutlichen Bildern. Vielleicht überhören wir das zu schnell? – Nehmen wir uns doch hier die Zeit, einige Liedtexte kurz zu bedenken:
„Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt …“ Kaum ein Liederdichter der jüngeren Vergangenheit hat die Ambivalenz und den Reichtum der Weihnachtsbotschaft so tief erfasst und im eigenen Leben erfahren, wie Jochen Klepper (1903-1942). Die Tragik seiner Lebensgeschichte spricht hier für sich. Das Lied „Die Nacht ist vorgedrungen“ (GL 220 / EG 16) drückt dieses Glaubenswissen aus:
Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.
Strophe 1
Das Kommen des Heilands, die Menschwerdung des Gottessohnes, löst das Böse in der Welt nicht auf, sondern eröffnet den Ausweg hin zur wahren Errettung und Erlösung:
Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von Seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr,
von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.
Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.
Als wollte Er belohnen, so richtet Er die Welt.
Der Sich den Erdkreis baute, der lässt den Sünder nicht.
Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht.
Strophe 4 und 5
Ganz ähnlich klingt es bei Paul Gerhardt (1607-1676):
Ich lag in schweren Banden, Du kommst und machst mich los;
ich stand in Spott und Schanden, Du kommst und machst mich groß
und hebst mich hoch zu Ehren und schenkst mir großes Gut,
das sich nicht lässt verzehren, wie irdisch Reichtum tut.
Auch dürft ihr nicht erschrecken vor eurer Sünden Schuld;
nein, Jesus will sie decken mit Seiner Lieb und Huld.
Er kommt, Er kommt den Sündern zu Trost und wahrem Heil,
schafft, das bei Gottes Kindern verbleib ihr Erb und Teil.
„Wie soll ich dich empfangen“ (EG 11), Strophe 4 und 8
Auch Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635) weiß um die tiefe Not und Sehnsucht wie auch die Erfüllung der adventlichen Erwartung.
Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal,
komm, tröst’ uns hier im Jammertal.
Hier leiden wir die größte Not
vor Augen steht der ewig’ Tod.
Ach komm, führ uns mit starker Hand
vom Elend zu dem Vaterland.
„O Heiland, reiß die Himmel auf“ (GL 231 / EG 7), Strophe 4 und 6
Überhaupt blendeten die Christen früherer Zeiten in ihrer Adventsfreude das Leid und die Not des Menschen, die Sünde und den Tod nicht aus. Im Gegenteil! Gerade diese bedürfen ja so dringend der Erlösung durch das Kommen Gottes in diese Welt: „Et incarnatus est“, Er kam „in unser Fleisch“. Das Kind in der Krippe gibt es nicht als heimelige Idylle, Verdrängung und Illusion, sondern handfest, konkret, lebendig:
Und wer dies Kind mit Freuden umfangen, küssen will,
muss vorher mit ihm leiden groß Pein und Marter viel,
danach mit Ihm auch sterben und geistlich aufersteh’n,
das ewig’ Leben erben, wie an Ihm ist gescheh’n.
„Es kommt ein Schiff geladen“ (GL 236 / EG 8), Strophe 5 und 6, von Daniel Sudermann (um 1550-1631), vermutlich nach Johannes Tauler (um 1300-1361)
In dieser Erkenntnis liegt der eigentliche Trost, auch und gerade in Tagen wie diesen: „Gott kommt zu uns, die Krippe und das Kreuz sind Seine Zeichen. Gott kommt zu uns, und unsre Trauer soll der Freude weichen!“
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