Die Sünde hassen, den Sünder lieben

Gastbeitrag von Manfred Barnabas Loevenich SJB

“Als ob Liebe zur Menschheit und Hass auf Unmenschlichkeit nicht miteinander vereinbar wären!“

So konstatiert der englische Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton (1874-1936), der einer breiteren Öffentlichkeit heute vor allem durch die Kriminalromane um die Figur “Pater Brown” bekannt ist. In der 1908 erschienenen Essay-Sammlung “Orthodoxy” merkt der damals 34 Jahre alte Roman- und Theaterautor, Essayist, Dichter und Apologet, der 1922 zur Römisch-Katholischen Kirche konvertierte, weiter an:

“Altruisten mit dünnen, schwachen Stimmchen schimpfen Christus einen Egoisten. Egoisten (mit noch dünneren, schwächeren Stimmchen) schimpfen ihn einen Altruisten. Im Klima unserer Zeit sind solche Kritteleien verständlich genug.

Die Liebe eines Heiligen ist furchtbarer als der Hass eines Tyrannen. Der Hass eines Heiligen ist großherziger als die Liebe eines Philanthropen. Es gibt eine ungeheure, heroische Heiligkeit, von der die Heutigen nur mehr Splitter zusammenlesen können. Es gibt einen Riesen, dessen abgehackte Arme und Beine wir umherwandeln sehen.

Sie haben die Seele Christi in alberne Streifen zerrissen und ihnen das Etikett Egoismus und Altruismus angeheftet; seine wahnwitzige Gestalt stellt sie eben so sehr vor Rätsel wie seine wahnwitzige Sanftmut.

Da sie ihn aber gekreuzigt hatten, teilten sie seine Kleider und warfen das Los darum; der Rock aber war ungenäht, von oben an gewebt durch und durch.”

Quelle: Gilbert Keith Chesterton, Orthodoxy (1908); hier zit. nach: Ders., Orthodoxie, Eine Handreichung für die Ungläubigen, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2000; neu übersetzt von Monika Noll und Ulrich Enderwitz, Fe-Medienverlag, Kißlegg 2015, S. 93-94.

Christus reinigt den Tempel, Gemälde von Bernardino Mei, um 1655, Getty Center Los Angeles

Heute ist der Begriff “Hass” generell diskreditiert, aber zu Recht? Im 54. Kapitel der Regel des heiligen Benedikt von Nursia (um 480-547) werden – exemplarisch am Vorbild des Abtes – die Maximen verantwortlichen Handelns dargelegt.

Dort heißt es (Regula Benedicti (RB) 64,7-11):

“Der eingesetzte Abt bedenke aber stets, welche Bürde er auf sich genommen hat und wem er Rechenschaft über seine Verwaltung ablegen muss. Er wisse, dass er mehr helfen als herrschen soll. Er muss daher das göttliche Gesetz genau kennen, damit er Bescheid weiß und einen Schatz hat, aus dem er Neues und Altes hervorholen kann. Er sei selbstlos, nüchtern und barmherzig. Immer gehe ihm Barmherzigkeit über strenges Gericht, damit er selbst gleiches erfahre. Er hasse die Fehler, er liebe die Brüder. Muss er aber zurechtweisen, handle er klug und gehe nicht zu weit …”

An anderer Stelle der Regel des heiligen Benedikt, in Kapitel 4 bei den “Werkzeugen der geistlichen Kunst” – heißt es ganz grundsätzlich: “Niemanden hassen.” (RB 4,65)

“Hass” nicht gegen Personen, aber angesichts eines verkehrten Zustandes (Fehler, Ungerechtigkeit, Lieblosigkeit oder etwa, wie in RB 4,60 gegenüber dem “Eigenwillen”) ist also bei St. Benedikt durchaus nicht verboten, sondern vielmehr geboten. Er ist die spiegelbildliche Seite der (leidenschaftlichen!) Liebe zum Guten.

Dies ist ein interessanter Gedanke in einer Zeit, in der “Hass” (“hate”) per se zum K.O.-Kriterium erhoben wird.

Computer-Crash

Aus dem Jahr 2002 oder 2003:

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crashArbeiten Sie mit einem Computer? Vieles ist damit einfacher oder wird überhaupt erst möglich. Ich jedenfalls möchte mir das Arbeiten ohne dieses Hilfsmittel nicht mehr vorstellen.

Entsprechend verärgert war ich, als mir jemand beim Installieren eines Programms das ganze System ruinierte. Es kostete mich Stunden, bis es wieder so einigermaßen lief. Da aber vorher alles vorinstalliert war und ich keine Disketten hatte, fehlten dennoch wichtige Dateien: Kein Zugriff auf die Soundkarte, nur das Minimum an Farben und manche Programme konnte ich überhaupt nicht mehr starten oder nur noch einige Grundfunktionen nutzen. Kurz gesagt: Das Arbeiten machte keinen Spaß mehr. Doch auch dafür ist eine Lösung vorgesehen. Der Hersteller bietet eine CD-ROM an, die den Computer in den Zustand zurückversetzt, in dem er ausgeliefert wurde. Alle anderen Daten werden gelöscht und alles wird wieder genau so eingerichtet, wie es nun einmal sein soll. Nun weiß ich, daß ich nicht mehr in eine solche Situation kommen kann, denn schließlich habe ich ja die Möglichkeit immer wieder von vorne anzufangen.

Das hat mich daran erinnert, daß auch in einem Menschenleben eine vergleichbare Situation entsteht. Durch „unsachgemäßen Gebrauch“ – die Bibel nennt das Sünde – wurde das Leben verdorben. Mit viel Mühe hat man es vielleicht so hinbekommen, daß es irgendwie läuft, aber von Qualität kann keine Rede sein. Da gibt es Mißtöne und das ganze ist ziemlich farblos. Auf alle Fälle können nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die vorgesehen waren. Aber ähnlich wie beim PC gibt es eine Lösung: Gott hat dafür gesorgt, daß die Sünde aus unserem Leben verschwinden kann und sich die Prioritäten wieder so ordnen können, wie es gedacht war. Es kommt „Farbe ins Leben“ wie es in einem Lied ausgedrückt wird.

Doch es hat Gott einiges an Arbeit gekostet und unglaubliches Leiden um uns diese Möglichkeit zu geben. Spätestens hier hat der Vergleich mit der Maschine seine Grenze, denn Jesus mußte sterben um uns neues Leben zu geben. Beim Computer hätte sich das Problem auch mit dem Kauf eines neuen Geräts lösen lassen, wenn da nicht die finanzielle Seite wäre. Doch Gott, der alle Möglichkeiten hätte, nimmt diese Mühe auf sich, weil er uns liebt. Wir sind eben nicht nur irgendeine Errungenschaft Gottes, sondern seine geliebte Schöpfung. Schon im Alten Testament spüren wir etwas von der Bereitschaft Gottes, wegen uns Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen: „Aber mir hast du Arbeit gemacht mit deinen Sünden und hast mir Mühe gemacht mit deinen Missetaten. Ich, ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen und gedenke deiner Sünden nicht.“ (Jesaja 43, 24b – 25)

Wir haben also allen Grund, Gott zu vertrauen, denn er hat seine Liebe und Treue immer wieder bewiesen. Dann gibt er die Möglichkeit, zu dem Menschen zu werden, den er sich gedacht hat. Warum sollte man sich also mit weniger zufrieden geben?

„Wenn ein Glied leidet“

Im Zusammenhang mit der Beichte, hört man es öfter, dass das Schuldigwerden jedes Einzelnen auch der gesamten Kirche Schaden zufügt (und unter anderem auch deshalb vor einem Priester der Kirche bekannt werden soll, vor allem bei schwerer Schuld).

Mir kommt dann ein Text aus dem 1. Korintherbrief in den Sinn, der auch zentral ist für mein eigenes Kirchenverständnis:

„… Gott hat den Leib zusammengefügt und dem geringeren Glied höhere Ehre gegeben, damit im Leib keine Spaltung sei, sondern die Glieder in gleicher Weise füreinander sorgen.

Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.

Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.“
(1. Korinther 12, 24b-27)

Das Ganze bleibt so lange eher theoretisch, bis jemand im eigenen Umfeld oder Freundeskreis in Turbulenzen oder Schwierigkeiten gerät. Dann wird das Mitleiden plötzlich sehr konkret. Konkret wird auch das Nachdenken darüber, ob der eigene Mangel z.B. am (versprochenen) Gebet oder an der eigenen Treue im geistlichen Leben nicht genauso dem Leib Christi Schaden zugefügt hat. Auch wenn es von außen niemand mitbekommen hat.

Natürlich kann man keinen unmittelbaren Zusammenhang herstellen, doch mir macht das Nachdenken darüber meine eigene Verantwortung in der Kirche klar:

„Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, …“

Mitten in diesen Gedanken habe ich heute den Film „Von Menschen und Göttern“ gesehen. Und damit kommen auch die Christen in den Blick, die weltweit unter Druck stehen oder gar verfolgt werden.