Es fehlen die Worte

Die Ereignisse der Silvesternacht – hier in Köln und auch in anderen Städten – lassen mich im doppelten Sinn sprachlos zurück. Zum einen ist es einfach schwer zu verstehen, was da am Hauptbahnhof geschehen ist. Und es ist genau so schwer zu verstehen, dass offenbar bekannte Informationen nur tröpfchenweise berichtet werden.

Zum anderen fehlen die Begriffe, das zum Ausdruck zu bringen, was ich denke. Also, sie fehlen nicht wirklich, sondern sie sind so gründlich mit einer mißliebigen politischen Ausrichtung in Verbindung gebracht worden, dass sie für normale Äußerungen „verbrannte Erde“ sind.

Den „besorgten Bürger“ z.B.  finden wir nur noch in Anführungszeichen, als ob diese Sorge grundsätzlich vorgeschoben wäre. Wie soll man denn nun ausdrücken, dass man sich nun einmal Sorgen macht angesichts dessen, was da passiert ist?

Dass man der mangelnden Information nicht traut, die es da offensichtlich gegeben hat, kann man auch nicht ausdrücken, ohne allzu schnell mit denen in einen Topf geworfen zu werden, die den Begriff „Lügenpresse“ im Diskurs nutzen. Aber ich weiß auch nicht, wie ich eine Presse nennen soll, die statt vierte Macht im Staat zu sein und objektive und relevante Information zu bieten, anscheinend freiwillig die Gesinnungs-Nanny für gute Staatsbürger spielt.

In der letzten Zeit wurde so gründlich Sprache an den Pranger gestellt, dass es schwierig geworden ist, Anfragen zu stellen oder moderate Kritik zu äußern, weil damit sofort eine lange Assoziationskette ausgelöst wird, die verhindert, dass die eigentlichen Inhalte überhaupt wahrgenommen werden. Von Ernstnehmen will ich erst gar nicht reden.

Gerade heute habe ich wieder ein beredtes Beispiel dafür gefunden: „Wahrheit ist ein zartes Gut“ (Spiegel Online) – Der ganze Beitrag besteht fast ausschließlich aus suggestiven Fragen, Zuschreibung von Argumentationsmustern und Anstoßen von Assoziationsketten.

Der Demokratie und der Meinungsfreiheit tut man damit keinen Gefallen. Aber „das wird man ja wohl mal sagen dürfen“ ist ja auch schon länger „verbrannte Erde“.

3 Gedanken zu „Es fehlen die Worte

  1. Mir fehlen die Worte auch schon länger. Eine „innere Emigration“ wird mir immer sympathischer angesichts tatsächlich verübter Gräueltaten (egal wo und von wem) und den Reaktionen darauf.

  2. Mir fehlen die noch für ganz andere Dinge: Beispielsweise für die Dinge in Regensburg.
    Aber in konservativ katholischen Kreisen ist man für jede Ablenkung dankbar. Man ist ja im „Weihrausch“.
    Die katholische Kirche hat doch ganz wesentlich dabei mitgeholfen, die Tore für diese Männer weit zu öffnen oder besser gesagt sie aus den Angeln zu heben.
    Der Essener Bischof hat dazu klipp und klar gesagt, wir haben uns anzupassen.
    Inzwischen kann ja keine Frau mehr sicher in ein Hallenbad gehen, soweit ist es doch.
    Jetzt, wo die konkreten Auswirkungen da sind, wollen die Herren Exzellen auch noch den Zug der Echauffierten anführen.

    • Was haben ‚konservativ katholische Kreise‘ oder die Bischöfe damit zu tun, dass uns zusehends die Sprache beschnitten wird, über Dinge auch kritisch sprechen zu können? Was haben sie mit der offenbar absichtlichen Desinformation durch diejenigen zu tun, deren einziger JOB die Information ist? Hier geht es um hohe Güter wie die Meinungsfreiheit und letztlich auch um die Demokratie.

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